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SachsenThüringen-Reisebericht

Hallo allerseits,


Jenseits von Dresden hört die Welt auf. - Ha, reingefallen, stimmt gar nicht! Da wird sie erst richtig spannend. Denn dort ist der Nationalpark sächsische Schweiz, der Grand Canyon Deutschlands. Die Elbe hat sich ein tiefes Tal gegraben, dessen Ränder von grauschwarzen Sandsteinzähnen gebildet werden. Auch die Wände sind aus grauschwarzem Sandstein. Und wenn man eines der Seitentäler auf den großen Winterberg zu hochgeht, dann kommt man in eine märchenhafte Landschaft.

Zuerst steht man in einem Talkessel, der von allen Seiten von hohen Sandsteinwänden eingerahmt wird. Aus dem Kessel heraus führen verschiedene Wanderwege, Stiegen genannt. Nehmen wir mal die Rübezahl-Stiege: Vom Hauptweg geht ein kleiner Seitenweg ab, man umgeht die umgestürzten Bäume des letzten Sturmes oder klettert drüber und gelangt zu einer riesigen Boofe.

Was ist eine Boofe? - Das ist eine Höhle oder ein Felsvorsprung, unter dem es sich der sächsiche Höhlenmensch auch heutzutage noch gerne gemütlich macht, um dort einen Regenguß oder eine Nacht angenehm zu verbringen. Und das nennen sie dann "boofen".

Aber zurück zur Geschichte. An der Boofe vorbei geht es schräg über Schrofen und zwischen den steilen, düsteren Sandsteinwänden, durch zu einer engen Schlucht. Das muß der Fleck sein, wo Samiel (Weber: Freischütz) seine Kugeln gegossen hat. Durch die muß man dann hoch. Nicht laufen, sondern klettern. Aber bis dahin dauert das noch. Weil da noch eine nette Meute von Flachländern beschäftigt ist, ihre Kinder einzeln angeleint die Steilstelle hoch zu hieven. Dabei ist das fast eine in den Fels gehauene Treppe mit Eisenringen als Griffe. Und nach ein wenig entspannter Geduld *hüstel*...

...darf man dann auch hoch. Noch mal warten. Und dann steigt man in einen Haufen aus metergroßen Sandsteintrümmern ein, zwischen denen der Pfad als Kaminkletterei senkrecht nach oben in die Dunkelheit führt. Fast wie Höhlenkletterei. Irgendwann muß man noch den Rucksack absetzen, weil ER zu dick ist und nicht durchpaßt. Und dann steckt man oben zwischen drei Steinen den Kopf heraus ins Sonnenlicht. Wie aus einem Kanaldeckel. Und ist oben auf einer großen Ebene, die von Tausenden von Sandsteintürmen und geschachtelten Sandsteinwänden eingerahmt wird.

So sieht es da aus, kommen wir auf die Sachsen zu sprechen. Das sind gastfreundliche Menschen und wenn man weiß wo, kann man auch noch für 3.50€ eine Selbstversorger-Übernachtung bekommen. Nein, nicht im Sandstein. Sondern in einem echten Haus. In einem kleinen malerischen Dorf, das in ein enges Seitental der Elbe gezwängt ist. So stark gezwängt, daß sie die bunten Häuser sogar quer über die Straße gebaut haben.

Da wohnen die Sachsen und mit denen kann man in den Sandstein klettern gehen. Dafür muß man aber "moralisch gefestigt" sein. Weil die Sachsen nämlich Absturzsicherungen für Luxusartikel halten. Unser freundlicher Begleiter klemmt also seine Schulter in einen Riß, schiebt sich Zentimeter für Zentimeter hoch, findet in etwa 10-12 m Höhe den einzigen Sicherungsring, klinkt sein Seil ein und sagt ein paar Meter höher etwa 10 m unter dem Gipfel plötzlich zu seinem Sicherungspartner: „Jetzt kannst Du mich aus der Sicherung rausnehmen. Jetzt wird’s einfacher.“

Und weil das alles so kriminell ist, empfiehlt es sich, das selbst auch einfacher zu nehmen. Z.B. eine Kaminkletterei im dritten Grad. Das geht folgendermaßen: Man stopft sich in einen Riß hinein, stemmt die Beine nach vorn und die Hände und dann klemmt man erst mal. Gut. Dann kann man mal das eine und mal das Ende seiner selbst höher setzen und schiebt sich langsam hoch. Und wenn nach 20 m eine Sicherungsmöglichkeit in Sicht kommt, dann hat man Glück gehabt und fühlt sich unglaublich erleichtert.

Die Sicherungsmöglichkeiten gibt’s aber nicht immer. Ok. Wenn der Riß 30 oder 40 cm eng ist, dann kann man da ja gar nicht runterfallen, weil man ja klemmt. Aber wenn man im Riß seitlich quert und dann links und rechts die anderen Risse abzweigen, dann wird’s schon spannend, weil breit und tief. Besonders wenn man dann beim Abbiegen so etwa anderthalb Meter diagonal ausspreizen und -stemmen muß. Und wenn man dabei weiß, daß das Seil, das man dabei hat einen überhaupt nicht sichert sondern frühestens den nächsten, dann fühlt sich das RICHTIG KRIMINELL an.

Boa. Hab ich heut noch Alpträume von.

Was dagegen wieder richtig Spaß macht, ist oben von Gipfel zu Gipfel zu hopsen. Sind manchmal Risse dazwischen. In jeder beliebigen Breite. Von cm bis zu Metern. Und richtig tief. Aber da kann ja 'nichts passieren', wie die Sachsen sagen. Weil die gehen ja nach unten zu. Irgendwann bleibt man schon stecken.

Tja. Und dann das Gipfelbuch. Das heiligste Heiligtum des kletternden sächsischen Höhlenmenschen. Oben auf dem Gipfel ist eine stehende Metallkartusche. Deckel auf und dann ist da das Buch drin, ein Bleistift. Und natürlich das Lineal. Ins Buch kommt in kleinstmöglicher Schrift das Datum hin, dann der Verein, für den man hoch geht. Den muß man dann unterstreichen. Mit dem Lineal !!! Oben rechts der Routenname. Nein, das geht noch einen halben Zentimeter weiter rechts. Nicht so groß, das kannst Du auch kleiner schreiben. Und dann die Namen der Teammitglieder. Der Reihe nach, wie gestiegen wurde. Kein Wechselvorstieg, also kein "und" zwischen den Namen erlaubt. Zum Schluß ein Strich. Exakt waagerecht! Und mit LINEAL !!!

Ich glaube, wer in Sachsen das heilige Gipfelbuchlineal nicht benutzt, macht sich mindestens so beliebt wie ein Grabschänder in Mekka. Sollte man besser lassen.


Anderes Thema: Erzgebirge. Die Heimat des Rübezahl und der 24-Kerzen-getriebenen Hochleistungsweihnachtspyramide. Mit ganz vielen Holzfigürchen, die alle immer gähnen. Ich versteh auch warum. Ich hab mir nämlich das Erzgebirge spannend vorgestellt. Richtig felsig, schroff und steil. Wie in den Illustrationen der Rübezahl-Märchen. Stimmt aber gar nicht. Das Erzgebirge ist nämlich eine "Pultscholle". Das heißt bis auf die paar hineingegrabenen Flußtäler ist es richtig flach und steigt Richtung Tschechien allmählich an. Vermutlich sind die einzigen deutschen Erzgebirgs-Fans die suzidalen Motorradfahrer. Jedenfalls hatte ich dort einen dringenden Wunsch: Einen ordentlichen, robusten Biker-Fänger aus Stahlrohren vor der Motorhaube. Unglaublich...


Und was kommt dann? Das Vogtland. Große, dunkle Wälder. Eine kleine Bahnwärter-Thiel-Hütte und für alle, die in der Schule nicht mit der Gerhard-Hauptmann-Novelle gelangweilt wurden: Das ist eine kleine Hütte im Wald an einer Bahnstrecke. Und sonst gar nichts.

Was gibt’s im Vogtland für Steine? Richtig: Schiefer. Das ist das Zeug, was sich Nostalgiker auf die Dächer nageln. Und zwar deshalb, weil man das so schön schichtweise spalten kann. Und wenn man dran hochklettert spaltet es sich auch. Und zwar ganz von selbst. Dafür hat man aber ne Menge Schuppen, an denen man sich vielleicht festhalten könnte. Wenn es denn mal hält...

A propos "wenn es denn hält": Da gab es noch einen hübschen Mikado-Steinbruch aus Quarzporphyr zu entdecken. Das Spiel besteht darin, sich an einer Schuppe festzuhalten und festzustellen, ob man sie rausnehmen kann, ohne daß sich gleich alles rundherum in Bewegung setzt. Könne man auch Jenga-Fels nennen.

Und nach diversen anderen Entdeckungen ging es dann in den nebelschwadendurchzogenen Thüringer Regenwald. Ich dachte immer, in Deutschland gibt’s keine Regenwäler. Aber jetzt weiß ich, daß wir doch einen haben.

Und die Moral von der Geschicht: Es muß nicht immer Malle sein. Vor allem, wenn man es feucht mag.

Viele Grüße,
Jörg.



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