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Die Geschichte vom Steinmanderl

Da steht es am Wegesrand. Manchmal heiter, manchmal mürrisch. Geduldig, bei Sonne, Nebel, Regen, Schnee. Das Steinmanderl. Wartet auf nette Gesellschaft, wartet auf flachländische Bergwanderer, um ihnen den Weg zu weisen, oder einfach nur auf besseres Wetter. Und die Bergwanderer halten andächtig inne, machen einen kurzen Knicks, heben einen neuen Stein auf und legen ihn andächtig auf das kleine Bergheiligtum. Ja, so ist das.

Steinmanderl

Doch wo kommt das Steinmanderl eigentlich her?

Dafür muß ich eine kleine Geschichte erzählen. Und die beginnt fast immer in einer Hütte. Sagen wir in einer Alpenvereinshütte, wenn morgens halb sechs im eng belegten Matratzenlager die nächtliche Schnarchfuge übergeht in ein geschäftig wühlendes Raschel-Allegretto, dirigiert vom Taktschlagen der Stirnlampenkegel. Wenig später trifft man sich dann im Speiseraum und versenkt in sich Tee, Kaffee, Müsli, Joghurt, Brot, Schinken, Marmelade, Käse, Bananen. Manchmal dazu noch ein Ei. Von allem mindestens reichlich, wenn nicht noch mehr. Heimlich wird noch eine Stulle für den Weg geschmiert, die verschwindet dann in der Hosentasche.

Wenn auch Stopfen nicht mehr hilft, geht es los. Schließlich gibt’s ja erst am Abend wieder was richtiges zu essen. Und unterwegs die Müsliriegel halten nicht weit. Unten treffen sich derweil die Rucksäcke und verlassen kurz nach halb sieben der Reihe nach die Hütte. Jeweils festgeschnallt an einem Bergwanderer oder Kletterer. Je nachdem. Auf denen reiten sie hinaus in den Sonnenaufgang. Oder besser gesagt in den großen kalten Schatten zwischen den leuchtenden Gipfeln. Wem wollen wir folgen? Denen mit den Bergwanderern oder mit den Kletterern? Ich würde mal sagen, mit den Kletterern.

Also, eine Stunde später ist der Ritt vorbei. Da kommen die Kletterer am Wandfuß an. Schauen fragend den Fels an, vergleichen mit den Bildern im Routenbuch und nicken vorm richtigen Kamin. Setzen den Rucksack ab, werfen das Seil auf den Boden, sich in Gurt, Helm und Schuhe, ein paar Knoten und dann geht’s nach oben.

War da nicht ein Frühstück? Ein gutes, reichhaltiges Frühstück? So so. Und was oben rein, muß ja bekanntlich auch unten wieder raus. Kontinuitätsprinzip nennt das der Physiker. Nach Seillänge Nummer vier wird dann langsam mal ein Busch fällig, hinter den der Kletterer sich verdrücken möchte. Wachsen auch meist ein paar aus den Ritzen. Nur das mit dem Dahinter funktioniert nicht so wirklich. Weil dahinter ist meist in wenigen Zentimetern bereits eine Felswand. Paßt kein Kletterer dahinter. Und daneben geht es schon hundert Meter runter. Mist. Was also tun? Schultern zucken. Knie scheuern. Fußballen treten. Gebißmuskulatur anspannen. Lippen Pressen. Stirn runzeln. Immer öfter betreten zur Seite schauen. Weiterklettern. So schnell es geht. Mindestens.

Ich glaube, das bringt uns nicht weiter. Überlassen wir die Kletterer mal ihrer Gesichtsgymnastik und schauen rüber zu den Wanderern. Deren Rucksäcke sind schon mächtig voran gekommen. Haben sich über die Bergwiesen zu den Geröllkegeln vorangearbeitet und keuchen langsam die Gerölltreppen-Serpentinen hoch Richtung Grat. Auch für die Bergwanderer gilt die Physik. Und das Kontinuitätsprinzip. Langsam wird der Blick unruhiger und er denkt. „Verdammi noamoi! Wo bringst do hietzn a Heisl her?“

Irgendwann hat sich genug krimineller Tatendrang angesammelt. Der Karawanist schert aus der Reihe aus und wartet bis er überholt ist. Der Rucksack wird abgeworfen und schneller als Lucky Luke ziehen kann ist die Hose wieder oben. Aber so eine Hinterlassenschaft am Wegesrand ist natürlich grob unhöflich. Was also tun? Schnell ein paar Steine drübergehäuft. Hat ja schon bei Nscho-Tschi geholfen.

Das ist sie. Die Geburt eines neuen Steinmanderls. Noch etwas unappetitlich riechend reckt es seine Nase in die Frischluft. Ich kann es verstehen. Doch schon am nächsten Tag wird der erste Bergwanderer luftjapsend vor ihm anhalten. Sich andächtig niederbeugen. Einen Stein aufheben. Und ihn vorsichtig auf dem Wegesrand-Altar der heiligen Reliquien des Bergwanderns plazieren.

Steinmanderl

Und wenn es einmal groß ist, wird es den Bergwanderern den Weg weisen. Bei Sonne und Sturm, bei Regen und Nebel. Manchmal mürrisch, manchmal nett und manchmal voller Ironie.



17.8.2007, Jörg Kunze.