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BurgBilstein-Reisebericht

Ein Reisebericht oder wie man nicht nach Norwegen fährt...


Eigentlich beginnt die Geschichte auf Burg Bilstein im Sauerland. Schwer gerüstet stehen wir mit Schwert und Schild den feindlichen Horden gegenüber. Nach einigem Handgemenge taumelt die Linie der Feinde und schon scheinen wir sie zurückzudrängen, als ihre Magier eingreifen und mit einem „Windstoß“ die Richtung des Vormarsches umkehren. Auf dem sandigen Burghof strauchle ich, falle rückwärts und die Welt versinkt in einem finsteren Alptraum, einem Strudel von Schlachtenlärm und entstellten Monstern...

Zwei Minuten jenseits dieser Welt, zwei Minuten Zeit für einen Rückblick. Wie um alles in der Welt komme ich in diese Situation? Ganz einfach. Ein paar Freunde haben mich freundlich überredet, einmal wieder mit ihnen zusammen an einem Live-Rollenspiel teilzunehmen. Da laufen alle rum, wie in einem Fantasy-Film. Nur daß die meisten das Drehbuch nicht kennen. Hab ich ein paar Jahre nicht mehr gemacht, weil ich doch schon im Hier-und-Jetzt glücklich mit meinem Selbst bin. Und die Ruhe hinter der Fassade zu schätzen weiß. Bringt aber trotzdem Laune.

Inzwischen wache ich aus dem Strudel von Monsterlärm und Schlächtern wieder auf. Sitze an einem Tisch und eine freundliche Stimme neben mir sagt: „Wir haben den Krankenwagen schon gerufen.“ Und zu mir: „Du bist wohl auf den Kopf gefallen.“

Wenig später bin ich in einem Krankenhaus. Ein netter Arzt nimmt mich auf, während Silk, meine dankenswerte, selbsterklärte Einlieferungsmutter, mir unter den ungläubigen Blicken des Arztes die Arm- und Beinschienen abnimmt und mir hilft, das Kettenhemd auszuziehen. Der Arzt behauptet, er heiße „Abu“ und ich glaube ihm das nicht. Abu heißt auf arabisch so viel wie Vater. Das ist genau so, als ob ein Deutscher behauptet, daß er „Von“ heißt. Dann erfahre ich einen längeren jordanischen Namen. „Vater von der Versammlung“ auf Deutsch. Und während der Herr Versammlungsleiter mich weiter untersucht, freue ich mich, daß mein Schädel wenigstens noch ein bißchen funktioniert.

Beim Röntgen verwenden sie eine Beschleunigungsspannung von 75 kV. Ich hab gefragt. Ich wußte gar nicht, wie hart Strahlung eigentlich sein muß, damit sie durch meinen Dickschädel paßt. Und die Frage zeigt, daß für einen frisch Filmgerissenen jede Art von Information, die der Orientierung im Hier und Jetzt dient, das allerallerwichtigste ist. Wenn auch nur eine Spannungsangabe eines Röntgengerätes.

Das Bett tut gut. Wenn ich mich bewege, fängt das Universum um mich herum an, sich unkontrolliert zu drehen. Und hört ewig lang damit nicht auf. Besser mal nicht. In dem Zimmer sind noch zwei andere. Neben mir liegt das „Fußnagelwunder“ und ein Bett weiter höre ich „Darth Vader“ einen düsteren Atemzug nach dem anderen schnaufen. Genau wie bei seinem schwarzbehelmten Namensvetter hängt sein Leben an jeder Menge Technik. Und die fängt mindestens alle Stunde an, ohrenbetäubend zu piepen. Die ganze Nacht durch. Irgendwann kann ich bei dem Piepen sogar einschlafen. Das dumme ist nur, ich wach wieder auf, wenn der Lärm dann aufhört.

Der alte Herr muß alle zwei Stunden umgebettet werden. Es ist kaum vorstellbar, was die Pfleger leisten. Und sogar noch mit Scherzen und freundlichen Worten. Eigentlich bin ich ganz froh darüber. Ich darf ja nichts tun. Nicht bewegen, nicht lesen, nicht fernsehen, nicht denken. Nicht denken ist das schwierigste. Das allerschwierigste. Nicht denken. Ich?

Am nächsten Tag marschiert die Besuchsdelegation ein und besetzt das Krankenzimmer. Alle rein – paßt nicht – alle wieder raus. Vier rein – nächste vier – übernächste vier und so weiter. Immer nur so viel, wie ich im Blickfeld haben kann, ohne den Kopf zu drehen. Alle wollen mich mitnehmen. Nur ich will nicht. Will wohl, aber weiß, daß es nicht verantwortbar ist. Nicht verantwortbar vor mir. Sie fahren. Und ich bleib da.

Die Zeit vergeht zäh wie kaltes Schweröl.


Ziehen wir darüber einen Vorhang von Privatsphäre und machen wir einen Zeitsprung. Dazu programmieren wir die Zeitmaschine auf drei Tage nach vorne.

Blanca hat mich inzwischen abgeholt und nach Hause gebracht. Eigentlich wollte ihr Dirk das ja machen, aber der mußte mit dem Lütten daheim bleiben. Und sie verdient dafür eine Aufopferungsbereitschaftsmedallie. „Held der Jörgrettung“ oder so ähnlich.

Und was hat das ganze jetzt mit Norwegen zu tun? Ganz einfach. Am Freitag drauf wollten wir nach Norwegen. Joachim und ich. Ins Setesdal, Valle. Da wo die gigantischen Granitwände rumstehen. Haben dafür eine Fähre gebucht. Aber Freitag ist für meinen Schädel noch zu früh. Also fährt die Fähre ohne mein kleines rotes Auto. Und ich lieg statt dessen auf dem Bettchen und meditiere über die Texturdetails des Zimmerdeckenanstrichs. Der war auch zäh, als er aufgebracht wurde.

Ich aber bin darüber nicht aufgebracht. Ich freu mich einfach, daß ich noch mal ein neues Leben anbrechen durfte. Wobei es mich beunruhigt, daß ich nicht genau weiß, welches meiner sieben das jetzt ist. Und wie viele noch übrig sind?


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