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ElChorro-Reisebericht
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El Chorro
Und wieder bin ich frisch zurück von einer schönen Reise. Sitze daheim vor meiner Tastatur und tauche noch einmal ein in all das Erlebte und die Eindrücke…
Diesmal geht es nach Spanien, Andalusien, Malaga. Flughafen, Autobahn, Landstraße, von der geht eine kleine, enge Landstraße ab, die sich in hundert Kurven an einem See entlang windet und von der kleinen, engen Landstraße geht eine ganz kleine und ganz Enge Landstraße nach El Chorro. Dort werden die Straßen noch mal zwei Nummern kleiner und ich kann mir kaum noch vorstellen, wie dort zwei Autos nebeneinander vorbei passen sollen.
Und am nächsten Morgen geht die Sonne auf, öffnet den Blick auf Orangenplantagen, eine atemberaubende Felslandschaft, auf eine Schlucht und Hochspannungsleitungen, Hochspannungsleitungen und diverse andere Kabel, die diese Landschaft überziehen wie die Luftschlangen den Kindergeburtstag.
Am ersten Tag ist das Wetter unbeständig und nachmittags regnet es. Eine gute Gelegenheit, ein bißchen wandern und sich die Gegend anzuschauen. Einen schönen Weg gibt es auch, der heißt „Camino del Rey“, also „Weg des Königs“. Stehen ein paar verrostete Hinweisschilder davor, daß man den keinesfalls betreten darf, weil es angeblich gefährlich ist. Ist es auch. Also: Falls ihr mal dort hin kommt: Füße weg!
Falls man aber Abenteuer mag, so wie ich, ist es ziemlich spannend. Quer über eine vertikale, einigermaßen glatte Felswand zieht sich ein Weg. Dafür sind im Abstand von zwei bis drei Metern eiserne Schienen in die Wand getrieben. Sehen aus wie Eisenbahnschienen. Nur viel rostiger. Eben aus der Zeit, als Spanien noch von einem König regiert wurde. Längs ist jeweils auch eine Schiene drüber gelegt. Und dazwischen ist eine Mauer. Wohlgemerkt: Horizontale Mauer zum drauf gehen. Und wer mal ein bißchen mechanisches Verständnis hat, weiß, daß das nicht besonders stabil sein kann. Ist es auch nicht. Davon erzählen die vielen kleinen und großen „Fensterchen“ im Weg. Wenn man da oben längs läuft, kann man durch schauen und sieht dann achtzig Meter senkrecht runter das Wasser durch die Schlucht rauschen. Es gibt aber auch große Löcher. Da ist dann auf ein paar Meter Länge der ganze Weg runtergebrochen und es gibt nur noch eine Bahnschiene zum Balancieren. Eben achtzig Meter über dem Abgrund. Geländer gibt’s übrigens keins. Dafür sind im vorderen Teil ein paar Stahlseile angebracht. Da, wo man sie häufig kaum braucht. Der spannende Teil, wo man über die Stahlstreben balancieren und die achtzig Meter auf den Boden runterschauen kann, haben sie nicht gesichert. Den hinteren Teil auch nicht. Da darf man sich dann überlegen, wo man hin tritt, damit die Risse in den Platten nicht weiterwachsen. Aber ich sag Euch: Atemberaubende Landschaft! Eine richtig schöne Schlucht mit ausgespülten Felsen, und ganz vielen Dächern und Überhängen. Hat was.
Auf der anderen Seite gibt’s eine Bahntrasse. Brücke, Tunnel, Brücke, Tunnel. Da kann man dann wieder zurück laufen. Wenn grad kein Zug kommt. Sind pro Tag auch nur etwa zwanzig. Da mag man gar nicht in die Tunnel reinlaufen. Dabei ist in den Tunneln viel mehr Platz, einen Zug vorbei fahren zu lassen, als auf den Brücken zwischen den Tunneln.
Jo und ich sind der Meinung, daß wir am besten mal mit was ganz einfachem anfangen. „Jardin botanico“ (Botanischer Garten). Schöne Klettertour, vorwiegend III, angeblich 6 Seillängen. Wir gehen die ersten zwei Seillängen, schauen uns einmal tief in die Augen und schätzen eine IV+ mit V’er Schlüsselstellen. Oben teilen sich dann die Routen. Wir gehen erst mal rechts. Ich steig vor durch brüchiges und scharfkantiges Gelände. In einer Verschneidung finde ich einen Schlaghaken mit einer alten Schlinge dran. Wie wichtig diese Entdeckung werden sollte, wußten wir da noch nicht. Dann steige ich ganz, ganz vorsichtig weiter, eine brüchiger VI hinein in ein Dach. Unter dem Dach finde ich noch Möglichkeit, zwei Friends zu legen. Ob die halten, weiß ich nicht. Dann steh ich da, und weiß nicht weiter. Mit dem Dach ist das nämlich so: Man muß sich im Dach an seine Arme hängen können. Wenn aber alles wegbricht, wo man dranhängt, funktioniert das nicht. Nach einigem Suchen finde ich eine schöne, armdicke Sanduhr, greife nach ihr und nehme sie aus dem „festen“ Fels heraus, wie ein Glas Wasser. Irgendwann dämmert uns dann die Einsicht: Nö, hier will ich nicht hoch. Ein dritter Friend zur „Sicherheit“, immerhin greifen ja zwei von vier Nocken. Und dann läßt mich Jo runter. Er schaut sich die Sache an und mag dann auch nicht. Vernünftig. Dumm nur, daß das Material noch oben hängt. Aber besser das Material, als wir.
Also gehen wir eine Seillänge quer, bis ich den Durchstieg der linken Route ausmache. Jo beißt sich noch mal die Klemmkeile aus und kommt nach einer halben Stunde wieder abgeklettert mit der Erkenntnis, daß wo nichts fest ist, auch keine Sicherung hält. Ich hab aber meinen Durchstieg gesehen und will ihn ausprobieren. Ist ja ne IIIer Route, kann so schwer also nicht sein. Ist dann doch ein bißchen steiler als gedacht. Ganz vorsichtig probiere ich jeden Griff aus, belaste nach unten, belaste nach hinten. Breche und räume das lose Drittel erst mal aus. Ganz vorsichtig geht es nach oben. Ich weiß, daß ich meinen Fingern und Füßen mehr trauen kann, als meinen Sicherungen. Stützen, Treten, Belastung der Griffe minimieren. Pure Konzentration. Sonst nichts. Langsam geht es aufwärts. Über einen klemmenden losen Stein hänge ich eine Schlinge, er sieht aus, als ob er eine Belastung nach hinten halten oder dämpfen könnte. Irgendwann denke ich darüber nach, daß ich jetzt schon 20 Meter hoch bin und keiner einzigen Sicherung hundertprozentig trauen kann. Aber die rettende Kaminverschneidung ist nicht mehr weit und nach unten ist es noch deutlich riskanter. Also stemme ich mich hinein und dann geht es zügig nach oben. Denkste. Dann kommt nämlich der Kaktus.
Also: es gibt nur eine Verschneidung. In der muß ich hoch. Und in der steht ein ausgewachsener Kaktus. Etwas über einen Meter groß. Drunter durch geht nicht. Dran vorbei geht auch nicht, weil dann die rechte Wand zu weit weg ist. Also muß ich drüber hinweg. Und weil die letzte Sicherung auch schon 8 Meter tiefer und das Gestein dort brüchig war, knote ich erst mal eine Schlinge um den Kaktusstumpf. Mal schätzen, könnte mit Glück 1.5 kN halten. Immer noch besser als die legendäre Sicherungsgeranie. Tja, und dann müssen der Kaktus und ich uns wohl doch recht nahe gekommen sein, jedenfalls bin ich am nächsten Morgen von Kopf bis Fuß mit Kratzspuren und Nadeln übersäht. Aber zurück zum Fels. Noch weiß ich ja nicht, daß ich den nächsten Morgen überhaupt erleben werde. Insbesondere deshalb, weil ich recht zügig merke, daß sich das Seil im Kaktus verfangen hat und ich zuerst ungesicherter weise, später noch einmal gesicherter weise in den Kaktus zurückklettern muß, um mit ihm zu klären, daß das unser – jawoll, UNSER - Seil ist. Als ich den Stand-Olivenbaum erreiche steht die Sonne schon bedenklich tief. Aber abseilen kann ich nicht, dazu ist das Seil zu kurz. Also warte ich, bis Jo hoch kommt, und sich bei mir beschwert, daß, als er sich ins Seil gesetzt hat, der besagte lose Stein von oben auf ihn hernieder fuhr. Zum Glück vorbei. Wir sind uns einig: Das war unsere erste Totenkopf-VI. Und ich bin froh, daß ich Jo bei mir habe, der in kritischen Momenten nicht den Kopf verliert.
Was nu? Wir müssen runter. Keine Frage. Wie gesagt, geht das aber hier nicht. Im Führer ist ein Foto des Berges. Als kleine grüne Flecken kann man einzelne Olivenbäume ausmachen. Wir schätzen deren Abstände grob ab, dann steigt Jo noch schräg aufwärts vor. Jetzt sind wir 6 Seillängen hoch und sollten der Routenangabe zufolge oben sein. Sind aber grad mal in der Mitte der Wand. Bedeutet hier SL = Seilbahnlänge? Von einem Olivebaum aus seile ich mich ab in die bekanntermaßen viel zu hohe senkrechte Felswand und versuche, einen ganz bestimmten „grünen Fleck“ zu treffen. Der Baum bereitet mir nicht gerade ein Willkommen. Überall hat es Zweige. Der Stamm sieht aber erstaunlich gut aus. Also hänge ich mich dran, baumele lustig an einem Olivenbaum über dem Abgrund, während Jo sich nachseilt. Im Gewurschtel des Standes ziehen wir Stirnlampen an, in der zweiten Abseillänge, kann ich alle meine zurückgelassenen Friends einsammeln, ca. 200 Euro. Und mit Hilfe der Lampe finde ich den besagten Schlaghaken im Dämmerlicht, den wir als Zwischenstand brauchen, damit die Seillänge reicht. Beim Landeversuch trete ich auf einen großen Stein, etwa von der Gewichtsklasse eines prall gefüllten Party-Getränkekühlschrankes. Der mag mich nicht und stürzt sich mit einem unmißverständlichen „platz da, hier komme ich“ –Geräusch in die Tiefe, wo er irgendwo mit der Wucht eines irakischen Kleinlasters aufschlägt. Und viele andere Steine folgen ihm. Noch lange hallt es durch das Tal. In der totalen Finsternis müssen wir noch einen weiteren Schlaghaken zielgerichtet treffen und diversen Reepschnüren, Schlingen und Steinen trauen. Um neun sind wir daheim und beschließen, unser Überleben gebührend zu feiern. Prost.
Zur Feier des Tages und des Regens fahren wir nach Cordoba. Nach ein paar Tagen kommen mir die schmalen Landsträßchen bereits angenehm breit vor. Jedenfalls im Vergleich zu den Gassen von Cordoba. Zwanzig Zentimeter breite Bürgersteige laden zum Abnehmen ein. Überall laufen Hunde. Aber die Fußböden sind toll. Sorgsam sind Bachkiesel in Mörtel vergossen zu schönen Ornamenten. Mittelalter-Waschbeton. Das ist gut für die Bodenhaftung der Füße und fürs Ablaufen des Regenwassers. Im Zentrum steht die, die, die Moschee-Kathedrale. Ist jetzt christlich. So was hab ich noch nicht gesehen. Eine neunzehnschiffige Kathedrale, in der sich in der Mitte eine christliche Basilika, noch zwei drei andere Kirchen und schätzungsweise fünfzig bis hundert Kapellen mit jeweils eigenen Altären und manchmal sogar eigenen Orgeln befinden. Wahnsinn. Davor ist ein kleiner Park, in dem Palmen und Orangenbäume stehen. Der ganze Boden ist voll von Orangen und am Wegesrand stehen mehrere Abfallcontainer, die alle bis zum Rand mit Orangen gefüllt sind. Ssssssind die sssauer…
In Ardales besuchen wir die Fiesta de la Matanza. Das kleine Städchen platzt aus allen Nähten. In einem großen Festzelt drängt sich eine gewaltige Menschenmenge vor einer Sängerin und ihrer Band. Aus den Boxen klingen wehmütige, zigeunerhaft orientalisch anmutende Weisen und vorne steht eine stolze Spanierin, die hocherhobenen Hauptes diese Weisen singt. Dabei steht sie fast still, doch spricht sie mit ihren hocherhobenen, langen Handgelenken und diese Sprache ist auch ohne Worte verständlich. Während ihre geschickten Finger die Melodien zu einem Knüpfmuster aus Ornamenten in arabischer Schrift elegant zu verflechten scheinen, die dann vom Februarwind hinweg getragen werden.
Die Musik wechselt. Und so lange die Musik spielt, zieht sie sich in ihre Stola zurück als suche sie Wärme. Doch im Lied beginnt sie, mit der Stola ihr Spiel zu spielen. Läßt sie zur Seite gleiten, lenkt die Blicke, um im richtigen Moment den Kopf hinter die kalte Schulter zu werfen und das Publikum ins Leere starren zu lassen. Wie ein Stierkampf. Die Männer nehmen ein rotes Tuch, um die Stiere auszutricksen. Und Diana Navarro eine schwarze Stola für die Männer. Spanier eben.
In der Finca sieht es derweil wüst aus. Von der sprichwörtlichen Sauberkeit der Alpenvereinshütten ist nichts zu sehen. Bis in die Nacht wird gefeiert und morgens spül ich schon mal die Reste ab. Sind halt Kletterer und keine Bergsteiger. Sicherheitshalber faß ich mir noch mal an die eigene Nase. Aber die sagt nur: „Aua – Sonnenbrand!“
Bei der Ampthrax (9SL V-6a) machen wir es genau richtig. Sehr schöne Route übrigens. Wir starten bereits, als es noch so finster ist, daß man eine heile Straßenlaterne von einer kaputten unterscheiden kann. Und als der erste Hahn kräht, sind wir bereits im ersten Stand angekommen. Die Tour geht dann über vertikale Platten, Überhänge und kleine Dächer vorwiegend senkrecht nach oben und bietet eine schöne Aussicht auf alles, was unten geblieben ist. El Chorro, daß Pumpspeicherwerk, das Autochen und die Bäume. Weil die Bäume alle im gleicher Weise schief stehen, meint man manchmal, man hat am Abend vorher gesoffen. Stimmt auch. Die Bäume stehen aber auch im nüchternen Zustand schief. Unterwegs ziehen ein paar Fönfische über uns vorbei, dann wird die Wolkendecke kompakter. In den Alpen heißt das, eine Front kommt. Also seilen wir vor dem langen Quergang ab und sind genau im Wandfuß, als der Regen anfängt. So soll es sein.
Wo wird man den ganzen Dreck am Leib mal richtig los? In Alhama. Dort gibt es heiße Quellen. Das Wasser sprudelt in Badewannentemperatur aus dem Felsen und fließt durch die flachen Becken, in denen sich Schweden neben Österreichern aalen. Aalen sich eigentlich die Schweden oder lachsen sie? Jedenfalls fühlen sich die vielen großen Forellen drei Meter weiter im kalten Fluß deutlich wohler. Und je nach Lust und Laune gönnt man sich dann ein Wechselbad. Mal bei den Schweden, mal bei den Forellen. „Lllässig“ sagt der Österreicher.
Und so vergehen die Tage. Morgens kräht der Hahn. Eine Route zum Einklettern. Dann bimmeln die Schafe. Noch eine Route. Mittags bellen die Hunde. Zeit für die Siesta in der prallen Sonne am Wandfuß. Nachmittags noch mal zwei Seile mit Live-Darbietung der kleinen Springschwänze, die über den Kalk hopsen. Wenn die Schafe zum zweiten mal bimmeln oder spätestens, wenn die Hunde noch mal bellen, wird es Zeit. Eine Cerveza, ein Abendessen, ein Wein, eine Partie Tischtennis. Und es wird Nacht und es wird Morgen. Und so vergehen die Tage.
Und wenn der Urlaub nicht zu Ende wäre, ratet mal, wo ich jetzt dann noch wäre…
Schöne Grüße, Jörg
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