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Kullen-Reisebericht
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Himmelfahrt ist wie Urlaub. Und Urlaub soll ja anders sein, als der Alltag. Irgendwie entspannter. Wir wollen nach Schweden. Und deshalb gähne ich mich dann auch schon um halb fünf Uhr morgens wach und nicht erst um sieben, wie sonst meist. Bin um sechs am Treffpunkt, Stephans Kombi wird mit Gabi, Ralf und mir so vollgestopft, gepreßt und gedrückt, bis aus dem Kofferraum auch noch der letzte Kubikzentimeter Luft verdrängt ist, dann kommt die fehlende Luft statt dessen noch in die Reifen und schließlich geht’s los...
Schweden ist irgendwie lässig. Und das Lässig fängt in Puttgarden an. Lässig schiebt Stephan die Karte rüber, um die 172 Euros für die Fähren zu bezahlen, lässig rollen wir an Bord und lässig lassen wir uns durchpusten und durchschaukeln. Einmal von Puttgarden nach Rödby und einmal von Helsingör nach Helsinborg.
Und dann sind wir da. Nasses, graues Schweden unter nassem, grauem Himmel. Kaum sind wir ausgestiegen, kommt uns auch schon der Pulk der Lübecker Schlechtwetter-Desperados entgegen. Kleines Hallo, kleine Wanderung, kleine graue Aussicht von kleinem Hügel auf einen grauen Himmel und einen nassen Golfplatz. Dann die Idee: Wir latschen zu den Treibholzburgen. Wenigstens Bewegung.
Treibholzburgen. Schönes Ziel. Und irgendwie sind wir ja auch ein wenig gestranded zwischen den Wogen der Regentropfen. Mit einer groben Zielvorstellung stiefeln wir über die markierten Wanderwege, die unmarkierten Wanderwege, wandern ohne Weg und kommen nach einer glitschbeflügelten Rutschpartie durchs Laub, durch Matsch und durchs Bachbett an ein Stück Steilküste. Klettern auf die nächsten Felsen und sehen es vor uns. Greifbar nahe bis auf ein paar Meter: Ladonia.
Aber wie kommt man da hin? Nach ein paar kurzen Exkursionen in die Klippen ist klar: Hier gibt es kein Durchkommen. Ein wenig oberhalb ist eine "Rolltreppe" im Wald. Aber auf der will sich ja auch keiner die Füße brechen. Also zurück durch das Bachbett und hoch und höher und quer und über eine andere "Rolltreppe" und runter und dann sehen wir das Portal. Den Torbogen zu Ladonia.
"Rolltreppe" ist übrigens seit dieser Reise das Geflügelte Wort für eine Treppe aus Geröll, bei der sich jeder zweite Stein unter den Füßen wegdreht.
Aber zurück nach Ladonia. Und zu den glitschigen Holzresten, aus denen die "Türme der Winde" zusammengenagelt sind. Wir kümmern uns jetzt erst einmal nicht um die Künstler, die unbeachtet vom Rest der Welt diese überaus Tüv-bedenkliche Konstruktion zu einem eigenen hoheitlichen Staatsgebiet mit Exilpräsident und Exilministern erklärt haben, sondern besteigen den windschiefen, wackelig-morschen "Wotans Tower" und stoßen erst mal an. So eine Gelegenheit für ein Gipfelbier kann man sich ja nicht entgehen lassen. Schließlich ist das Ding ja mindestens zehn Meter hoch.
Nachts pennen wir schlechten Gewissens wie Landstreicher in unseren Zelten verbotenerweise irgendwo im Park hinter der großen Hecke des Golfplatzes. Und außer Andreas, unserem Chefschwedenfahrer, und den hungertuchnagenden Schülern mag es eigentlich niemand so richtig. Morgens erscheint aus einem anderen Buschwerk ein weiterer Landstreicher-Campingkultur-Liebhaber und tönt, daß am Wochenende meist der Ranger kommt. Kostet 3000 Kronen Strafe. Keiner hat Lust, zu rechnen, wie viel das ist. Klingt aber bedenklich. Also fragen wir abends auf einem Campingplatz an. Die Halunken dort wollen fast genau so viel, nur ohne daß man dafür was verbotenes angestellt haben muß. Andreas hat die zündende Idee und führt uns zu einem Waldgrundstück des dänischen Alpenvereins. Da stehen die Zelte quasi umsonst. Alle sind damit glücklich, selbst Andreas, unser dankenswerter Organisator und Chef-Heckenpenner. Und es versöhnt uns ein wenig dafür, daß es häufiger mal bedenklich oder gefährlich wird am Fels, wenn die Leute kommen, die so schön: "Llllll" sagen können.
Aber zuvor geht es an die Felsen. Erst mal über den "Italienska Vegen", der mit seinem Steilküstenweitblick eigentlich mehr an Frankreich und Nizza erinnert. Und noch ein bißchen mehr an Schweden, was nicht verwunderlich ist, weil da sind wir ja gerade. Dann geht es durch den Wald, wo die Vogelstimmen zentralbrasilianische Urwaldgeräuschkulisse erzeugen und die Ameisen achtspurige Straßen angelegt haben, nach "Carstens Ränna". Heißt so. Ist eine kleine Schlucht mit "Rolltreppe". Da gibt’s dann wolkenlosen Himmel, wolkenlose Felsen, tolle Vorstiege, tolle Überhänge und tolles Überhaupt. Einfach schön.
Abends bekommen wir noch eine kleine Sondervorstellung. Zuerst kreuzt ein SAR-Hubschrauber über unseren Köpfen auf und uns beschleicht ein ungutes Gefühl. Gibt es etwa schon wieder rot besprenkelte Felsen? Erst als der Hubschrauber minutenlang über der Bucht in der Luft steht und sinnlose Mannöver fliegt, entdecken wir auf dem nächsten Gipfelchen das Kamerateam. Freuen uns über die tollen Bilder, die wir geboten bekommen. Und über das viele leckere Salzwasser, daß uns der Hubi ins Gesicht bläst.
Am nächsten Morgen sind wir am Åkersberg. Auf der Karte hat der einen Kringel über dem A. Aber oben haben wir auch dort weder einen Kringel noch einen Ring gefunden. Nicht mal einen Schlaghaken. Also werden als Sicherung Klemmkeile und Schlingen zwischen die Felsen gefummelt. Für die Seil-von-oben-Liebhaber. Während wir von unten unsere Vorstiege ziehen und die wunderschönen Quergänge direkt über den klatschenden Wellen genießen. Und genüßliche Durchstiege oben. Einfach schön, dreißig Meter senkrecht über dem Meer zu hängen, die Möwen unten durchfliegen zu sehen. Und mit einem Luftblasenschwall verschwinden die Taucher in den Wellen.
Übrigens schönes Free-Solo Gelände. A propos Free Solo: Ihr wollt sicher noch was spannendes hören. Also: Stephan macht einen Quergang direkt überm Wasser, baut einen Stand, sichert Gabi nach und Jörg steigt für den Abbau nach. Dann zieht Jörg einmal das Seil 30 m weit schräg durch die Wand und im Bogen durch einen kleinen Überhang. Gabi steigt in der Mitte eingebunden nach und schafft es gekonnt, ihr unteres Seil so unter einer Felsnase zu platzieren, daß man zum Nachziehen die Kraft von zwei Dieselloks braucht. Trotzdem kommt sie oben an. Dann geht Stephan los, aber Jörg kann das Seil nicht nachziehen. Sagt zu Stephan, er soll Stand machen und warten. Macht der aber nicht. Sondern wandert einfach entspannt ungesichert durch die Wand, bis er in 20 m Höhe zur besagten Stelle kommt, hängt das Seil aus, schaut bedenklich nach oben und meint: "Gut, daß Du ab jetzt sichern kannst." Tja, so ist er, der Stephan.
Abends treibt sich Stephan zwischen den Klippen rum und findet eine stille Salzwasser-Badewanne. Abgesehen von dem Kartographen, der versucht, mir den Unterschied zwischen Gneis und Amphibolit zu vermitteln, kann man dort auch unbeobachtet baden. Die Nase der anderen dankt’s.
Danach gibt’s ein Fäßchen Bier, ne Flasche Wein und viele Geschichten über die Berge Patagoniens.
Sonntag ist wieder wolkenloser Himmel. Und keiner will heim. Irgendwann fährt Stephans Auto aber trotzdem. Und mit ihm der feste Wille, sehr bald wieder zurück zu kommen. Nach Kullen.
Schöne Grüße, Jörg.
P.S.: Großes Dankeschön an Gabi Kiencke, die sich meine Kamera umgehängt und uns viele schöne Bilder gemacht hat.
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