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LosAngeles-Reisebericht

Kalifornien

Wo fängt Kalifornien an? Irgendwo auf dem Münchner Flughafen, inmitten einer Menschenmenge, die im wesentlichen drei Sprachen spricht: Deutsch in allen Farben, Breitmaulfrosch-Englisch und Sombrero-Spanisch. Und an dem regengrauen Tag zwischen all den regengrauen Schlipsträgern und regengrauen Urlaubern leuchtet mir die Augen eines älteren Amerikaners entgegen. Und meine leuchten auch, denn ich freu mich wie ein kleines Kind…

Das Hamburg, in dem ich gestartet bin, sehe ich viereinhalb Stunden aus zehn Kilometer Höhe noch einmal, als wir aus München kommend darüber hinweg fliegen, und mir will sich die Sinnhaftigkeit dessen nicht so richtig erschließen. Hauptsache, der Herr mit der schicken blauen Schildmütze da vorne weiß, was er tut. Die Grönländer sollten dringend mal wieder die Schlaglöcher in ihren Luftstraßen flicken und gegen die Baffin-Bay wirkt die Ostsee wie ein Zwegpinscher neben einem Elchbullen. Was mich stutzig macht: Eigentlich ist es doch tiefster Winter. Woher kommen eigentlich all die großen freien Wasserflächen in der Baffin-Bay her? Aber wenn im Jahr 2100 der Nordpol erfolgreich eisfrei sein soll, dann muß die Polarregion ja schon mal üben.

Und nach dem unendlich und noch ein bisschen und noch ein bisschen länger und noch ganz viel länger erscheinenden Flug über die zentralamerikanische Landmasse schwenkt der Airbus in einem langen Sinkflugbogen über die Finsternis der San Bernhardino Range in das erstrahlende Los-Angeles Valley ein. Eine apokalyptische Wunderwelt aus goldenem Natriumlicht, in filigranen Mustern gesponnen erstreckt sich über den Horizont hinaus, aufweitend und immer heller werdend bis sie im hitzeflimmernden Gleißen verschwimmt. Und in dem feinen Gespinst erscheinen die Leuchtpunkte wie Tautropfen im Spinnennetz von Horizont zu Horizont, dem der Flieger gleich zum Opfer fallen wird.

Was ist Kalifornien, was macht es aus? Es gibt nicht die eine große Sache, mit der man es beschreiben könnte. Sondern es sind viele kleine.

Kalifornien fängt immer im Auto an. Sowieso verbringt man in diesem Land erstaunlich viel zeit im Auto. Und wenn eine Autobahn nur achtspurig ist, erscheint sie schon eng. Egal, wie viele Spuren, an jedem Autobahnkreuz gibt es Stau. Und das nächste Autobahnkreuz ist nie weiter Weg, als zehn Meilen.

Und so fährt man im TOYO CRLA über den FWY 101 N hinter einem Truck der Firma N CAL TRANSPORT an der Ausfahrt FREEDOM CYN BD vorbei und stellt sich die Frage: Was machen eigentlich die Amerikaner mit den ganzen unterschlagenen Buchstaben? Nach der Antwort muß man nicht lange suchen, die findet sich schon auf dem Autoradio: CAUTION: INSERT ONLY ONE CD INTO SLOT AT A TIME.

Es gibt teils sogar richtig gute Radioprogramme. Zum Beispiel einen, der werbefrei hoch klassische Klassikmusik bringt. Finanziert aus freiwilligen Zuwendungen der Hörer. Freiwilligkeit statt GEZ. Find ich gut. Und so sitzt Jörg hinterm Steuer und grölt hingebungsvoll das „Tuba mirum“ Bassolo aus dem Mozart Requiem mit, während er glücklich in den Sonnenaufgang rollt. Oder headbangend Beethoven. Oder auch mal Heavy Metal, je nachdem. Ist eh fast das gleiche.

Kalifornien ist skuril. Z.B. der Herr, der auch mal gerne Millionär sein will und mit einem großen Schild an der Kreuzung steht: I WILL DO ANYTHING LEGAL FOR 1.000.000 US$. CALL xxx xxxxxxx. Oder der kantig-rostige Lieferwagen der Umzugsfirma STARVING STUDENTS. Genau so kantig und eckig, wie alle anderen Lastwägen. Stehen hier die Aerodynamik-Handbücher noch immer unter „Science Fiction“ in der Bibliothek?

Tanken. Du stehst an der Tankstelle. Mietwagen. Als erstes stellst Du Dir die Frage, wo ist die Tankklappe? Steht auf dem Armaturenbrett: Links. Ok. Wie geht sie auf? Aufsperren kann man sie nicht. Aber der Hebel ist unter der Tür. Was kommt da rein? Weiß nicht. Steht nicht im Tankdeckel, steht nicht auf dem Armaturenbrett. Macht nichts, nehmen wir mal REGULAR. Wird schon nichts von kaputt gehen. Zapfhahn nehmen, reinstecken, Griff drücken. Nichts passiert. Ah, an der Zapfsäule ist ne Taste. Drücken. Nichts passiert. Hmm – was jetzt? Am besten mal reingehen und fragen. So so, man muß den Sprit im voraus bezahlen, sonst bekommt man nichts. Und wenn man noch nicht weiß, wie viel? Fünfziger auf den Tisch legen, tanken, wiederkommen und Restgeld mitnehmen. So einfach ist das. Wieder was gelernt. – Und was macht man, wenn man von der Tankstelle runter fährt und vor einer hektisch rot blinkenden Ampel steht?...

American way of life. Radio: “How do you feel this morning? Oh, I am feeling just so great…” Glaub ich ihr nicht. Aber niemand würde hier auf die Idee verfallen, sich über etwas zu beklagen. Think positive. Auch wenn mein innerer Lügendetektor den ganzen Tag nicht aufhört zu piepen, mal ehrlich: Lügen wir etwa weniger?

Continental Breakfast. Damit fängt der Tag an. Ein Schaumstoffteller, ein Schaumstoffbecher, Toast und Bagel, dazu ein Plastikmesser, dass bei der Berührung mit dem heißen Bagel sofort weich wird. Butter, Marmelade und ein Apfel, der genau so schmeckt, wie der Schaumstoffbecher. Aber er sieht auch aus, als hätte ihn jemand aus „Brust oder Keule“ geklaut. Das ist alles. Und für das gesamte Hotel eine einzige Sofagarnitur mit einem einzigen Rundtisch, ca. 60 cm Durchmesser. Und so stehen sie und schieben sich rein, was eh nicht satt macht. Ich auch.

Zum Glück gibt’s Asiaten. Und die asiatische Küche ist hier wirklich großartig. Am besten, man geht da rein, wo einem aus dem Gästeraum viele Schlitzaugenpaare anschauen. Und die eigentlichen Amerikaner? In Thousand Oaks finden sich die Indianer auf vielen großen Gemälden. Wildwest-Romantik. Irgendwie merkwürdig. Erst ausrotten und dann verklären, was nicht mehr da ist. American Way of Life.

Joshua Tree. Die andere Seite Amerikas sind seine Parks. Weit, schön, wild. In der Mitte eine Straße und eingezäunter 5 Minuten Rundgänge. Einfach nur schön. Joshua Tree ist vielleicht so groß wie der Harz, nur ohne Häuser drin. Auf der einen Seite Colorado-Wüste mit ihren weiten Kakteentälern auf der anderen die Mohawe mit ihren einmaligen Granitstrukturen und eben den Joshua Trees, Drachenbäumen. Die Ebene ist überzogen von kleinen Granithaufen und Granitmurmeln von Sandkorngröße bis vielleicht 50 m Durchmesser bzw. Höhe. Meist bilden sie kleine Felsgruppen. Dazwischen kleine und große Risse und sogar kleine Höhlen, wenn man unter so einer Murmel durchläuft. Und wenn man ganz still ist, kann man ganz, gaaaanz leise die Indianergeister atmen hören, die darin wohnen.

Man kann aber auch stattdessen über die Steine hopsen und hat von oben auf den Felsen ne hübsche Aussicht. Nur das Runterkommen ist noch spannender, als das Hochsteigen. A propos auf die Felsen hopsen: Gibt da erstaunlich viele Free-Solo Kletterer. Und in Routen, dass einem der Atem wegbleibt. Aber die, die das machen, können das ja auch. Als Ergebnis natürlicher Selektion.

Noch eine kleine Wunderwelt. Am Rande des pulsierenden Wahnsinns von L.A. liegen jeweils Berge. Und wenn sie nur steil und erdrutschig genug sind, stehen da nicht mal Häuser drauf, sondern das ganze wird dann ein Park. Und weil Amerikaner viel besser darin sind, neues anzulegen, als bestehendes aufrechtzuerhalten, gibt es dort nur eine ehemalige Straße hoch, die zur Hälfte weg gebrochen, zur Hälfte weggespült und sonst verschüttet ist. DO NOT ENTER BEYOND THIS POINT. Oder ROAD CLOSED. Klar. Kommt man mit keinem Auto mehr hoch. Kann man also als Normalamerikaner nicht mehr erreichen. Zu Fuß aber schon. Und wenn man erst mal oben ist, liegt hoch über dem Glitzern der Stadt eine friedlich stille Bergwelt mit Wiesen, Koniferenhainen, einem komplett menschenleeren Zeltplatz und ganz vielen NO TRESPASSING Schildern. Richtig nett da oben. Und so einladend. Ein mediterraner Duft, wie Rosmarin, nur anders. Keine Menschenseele. Friede. Stille. Schön.

Tja. Und was macht jetzt L.A. aus? Das Gefühl, dass alles geht. Das Gefühl, das nichts genug ist. Und das Gefühl, dass nichts davon echt ist.

Schöne Grüße,
Jörg.



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