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Marmolada2008-Reisebericht
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Wandern. Genau das wollen wir. Weil doch Jörg von den Klettertouren im Rosengarten seine grauen Haare bekommen hat. Und da denken wir uns, wir gehen besser mal wandern. Besser graue Steine als graue Haare.
In schöner Morgenfrische – man könnte sie auch das kleine Morgenbrrrr nennen – geht es aufwärts durchs Val da San Nicolo hoch zum Pas Pasche. Von dort wollen wir Richtung Val dei Meda. Dazu müssen wir einen Weg finden. Der ist in der Karte rot eingezeichnet. Und eigentlich sind alle eingezeichneten Wege immer gut markiert. Der hier nicht. Kein Schild, keine rot-weiße Marke, kaum Trittspuren. Und die verlieren sich nach ein paar Metern im Geröll. Noch bevor ich was sinnhaftes sagen kann, ist Jörg über den Geröllkegel zum Fuß der Felswand hoch gestiegen. Als ich zur Pause bei ihm ankomme, ist meine Diagnose klar. Der Weg geht da rüber und zwar ganz woanders, als wir. Was nu? Jörg will nicht runter, also geht er hoch. Ich hinterher.
Ist das ein K(r)ampf. Jeden Schritt rutschen wir einen halben zurück. Oben erwartet uns ein bröseliger Felsriegel. Kein ernstzunehmendes Hindernis. Obwohl ein Seil schon in Ordnung wäre. Aber das haben wir ja unten gelassen. Und Jörg möchte nicht umdrehen, wie gesagt. Also hoch den Bröselgrat.
Am verschneiten Gipfelplateau erwartet uns eine geballte Ladung Geschichte in Form von Rost und altem Holz. Rostiger Stacheldraht, rostige Dosen, rostige Granatsplitter. In Stein gehauene Unterkünfte markieren die Stellungen des ersten Weltkriegs, als die Berge „in Flammen“ standen. Heute liegen sie in blau und das erstreckt sich von Horizont bis zum Horizont. Mit wunderbaren Blicken auf Langkofel, Sella, Rosengarten und Ortlergruppe.
Als wir über das „flache Gehgelände“ runter gekommen sind zum Pass, knattert plötzlich Lärm durch die zuvor perfekte Stille. Motorradfahrer manövrieren ihre Geländemaschinen kunstvoll durch Geröll und über Steinplatten. Ebenso erstaunlich wie störend im allumfassenden himmlischen Frieden über den Felsen.
Allumfassend und friedvoll zieht sich der Weg Schritt für Schritt höher und es braucht schon Ausdauer, oben an zu kommen am Pas de Ombretola. Oben zelebriert der sonst eher verfrorene Jörg ganz unverfroren sein rotes T-Shirt und mit viel Spaß springe ich in die Geröllabfahrt. Mühelose zwei Meter Schritte im Sprintertempo. Ein Hochgenuss.
Lange zieht sich der Weg noch hin, bis wir dann schließlich unten sind und an der Rifugio O. Falier doch eine echte Alpenvereinshütte der Italiener kennenlernen. Mit blau-weißen Laden, draußen hängender Fahne, richtig wohligwarmer Stube und vor allem mit dem üblichen Kitsch an der Decke, den wir alle so gern mögen.
Früh ist es, als wir am nächsten Morgen aufbrechen und unter der gigantischen Marmolada-Südwand die Rinne hoch wandern. Schwer beeindruckt von den Felsabgründen der 37 Seillängen des Weges durch den Fisch (IX+), den der wahnsinnige Hansjörg Auer free solo gegangen ist. Ich schreibe das, weil das der Neugierigmacher war, der mich in die Marmolada gelockt hat. Während die zunächst unscheinbaren Talnebel uns den Berg hoch verfolgen und uns stets dicht auf den Fersen sind.
Nachdem Jörg ein weiteres mal seine zunehmende Schwindelfreiheit auf dem Grat unter Beweis gestellt hat, stehen wir auf der Cima de Ombreta, dem perfekten Aussichtsfelsen auf die Marmolada. Die steht inzwischen mit der ganzen Basis in den Wolken, die in den vertikalen Rinnen der Südwand hoch branden. Was für ein Anblick.
Die Ferrata Omionta auf dem Abstieg ist die erste, die den Namen wirklich verdient und schon mal in den IV+ bis V- Bereich geht. Kurz und echt nett. Genau wie die Murmeltiere. Ihr kennt das. Plötzlich pfeift es und alle Flachländer schauen nach oben. Weil es wie ein Vogel klingt. Muss man aber nach unten schauen. Weil das der Alarmpfiff der Murmeltiere ist. Die sind im Herbst puschelig und rund gefressen für den Winter. Jörg belagert eine Familie und bekommt auch wirklich zwei vor die Kamera. Nicht nur den üblichen Wächter.
Auf der Rifugio Contrin gibt es dann den letzten Apfelstrudel mit dem letzten Radler der Saison, bevor sie nachmittags die Hütte zu schließen bis zum nächsten Frühling. Und im Val da San Nicolo endet eine wunderschöne Wanderung mit wunderschöner Erschöpfung.
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