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NissedalJuli2015-Reisebericht

Ralf wird an der Furt aufgehalten. Verzweiflung steigt in mir auf. Mein Gesicht schmerzt. Kaum vergehen die Sekunden. Verdammt, warum dauert das sooo lange? Verzweifelt renne ich los, schneller, nur schneller. Werfe den Rucksack in den Wagen und springe hinein. Ich spüre sie. Sie sind auf mir, sind in meinem Gesicht. Ich schaue an mir herab. Kaum ein Quadratzentimeter, auf dem nicht Knotter herum krabbeln. Verzweifelt springe ich wieder heraus, schlage wild um mich und auf mich ein. Renne herum. Irgendwann kommt Ralf. Motor an, und weg hier, so schnell es geht! Hundert Meter später Fenster auf, damit sie raus können. Noch viele Kilometer später spüre ich, wie sie über meinen Hals und mein Gesicht krabbeln. Mit jedem Schlag ins Gesicht erwische ich welche. Selbstkasteiung auf Norwegisch.

Eigentlich weiß ich bis heute nicht, was genau das norwegische Wort Knotter auf Deutsch bedeutet. Vermutlich sind es Gnitzen, vielleicht aber auch Kriebelmücken. Abends kommen sie zu hunderten. Du spürst sie nicht. Sie fallen über Dich her. Es juckt nicht, es sind einfach nur Schmerzen. Gesicht, Hals, Hände, Arme, Beine. Alles sieht aus, wie bei einer schlimmen Krankheit, dick, rot, verschwollen. Erst unter der Dusche legt sich die Panik und Entspannung kehrt wieder ein.

Dabei hatte alles so schön begonnen. Wir sind im Süden zwischen Oslo und Kristiansand im Nissedal und im Fyresdal. Und eigentlich ist es hier sauschön.

Mit einem sportlichen und beutelreichen Wellenritt auf der Katamaranfähre waren wir in Norwegen angekommen. Die Telemark erstrahlte grün unter dem weiten blauen Himmel. Und weil es so schön war, haben wir uns für den späten Nachmittag noch einen kleinen Berg ausgesucht: Den Troldhaugen im Fyresdal.

Der Zustieg fühlt sich dort norwegentypisch authentisch an. D.h. es geht steil durch pure Wildnis, über umgestürzte Bäume, stempelkissenfeuchte Moospolster, riesige Felsbrocken, durch Bäche und Sumpf und natürlich über Felsplatten. Die Routen starten vom Felsbalkon neben dem Wasserfall mit schon fast disneykitschiger Idylle. Zuerst geht es über gestaffelte Steilstufen. Dann entdecke ich einen Weg quer über die Platten und gehe einfach los. Unterwegs finde ich einen Verhauerfriend, von dem wohl mal jemand abgeseilt hat. Dabei lässt sich das Gelände durchaus vorsteigen und ist für moralisch gefestigte Vorsteiger höchstens eine Sechs, die Sicherungsmöglichkeiten sind rar.

Oben läuft die Tour rund aus, wir genießen des Ausblick und fragen uns, wie man verdammt noch mal von dem Ding eigentlich wieder runter kommt. Die Abseilhaken liegen in einem gerade aktiven Wasserfall, deshalb folgen wir den Steinmännchen um den Berg herum, bis wir sie verlieren. Als wir keine Lust mehr haben, nehmen wir das Seil raus und seilen die Wände ab von Baum zu Baum.

Dann folgen wir dem Bach. Aus den Alpen weiß ich, dass Bäche meist zu Tälern führen, durch die man runter kommt. Hier ist das anders. Da fließen die Bäche meist in die Wände und plätschern als Wasserfall in die Tiefe. Zum Glück gibt es auch hier genug Bäume in der Felswand und so bringt uns das Seil gut runter.

Der Nisser Campingplatz ist hübsch und liegt am See. Die Norweger baden dort sogar ausgiebig. Ist ja schließlich ihr „warmer Süden“. Ich selbst schaffe es nur knietief ins erfrischende Nass und bin stolz drauf. Die Normannen sind halt härter als wir.

Am nächsten Tag gehen wir die Via Lara hoch. Die ist am Haegfjell und der ist sehr beeindruckend. Ich glaube, die Lara ist die bekannteste Route Norwegens, jedenfalls herrscht meist ein Andrang wie am ersten Sommertag am Eiswagen. Wir haben jedoch unsere Ruhe, weil grad Schauer aufziehen. Die Route ist ganz einfach, sehr leicht abzusichern und gleicht im Regen einem Wasserfall. Die Nässe verleiht der langweilig einfachen Route auch den gewünschten leichten Hauch einer Herausforderung. Über den langen Gipfelweg und die blaue „Loype“ geht es runter ins kribbelkrabbelnde Horrorszenario. Das kennt ihr schon. Und anschließen dürfen wir unsere rostquietschenden Friends alle neue ölen.

Weil es so schön war, steigen wir am nächsten Tag in die „Reven“ ein. Und weil es wieder regnet, seilen wir in der vierten Seillänge ab, obwohl die paar Tropfen es gar nicht gerechtfertigt hätten. Woher soll man schon wissen, wie groß der Schauer wird, wenn man ihn nicht abwarten mag?

Den Abschluss bildet die Tour am Langfjell. Eigentlich wollen wir etwas ganz anderes machen, doch die spärlichen Hinweise im Topo führen uns nur zum „Waldbeißer“ und warum eigentlich nicht? Ist ja auch nur eine Sechs. Mit entsprechend brennenden Waden und Zehen- und Fußballen laufen wir die Reibungsplatten hoch und freuen uns über den reichen Bestand an rostigem Altmetall, in das mit verblichenen Schlingen bei den Standhaken Abseilringe eingeknotet sind. So vermitteln die Bohrhaken die stets sichere Zuverlässigkeit eines chinesischen Bergwerks.

Nach den Platten kommt eine Steilstufe und die hat es in sich. Ich teste das erste Mal, wie es sich anfühlt, wenn man von einer Route im Vorstieg abspringt und die Platte runter rennt, bis das Seil greift. Zu Belohnung kann auch ich anschließend ganz viel greifen, weil der Fels so schöne Lamellen hat. Oben auf dem Fjell geht ein schöner Wind und bringt uns insektenbefreiten Frieden. Leider müssen wir runter, weil es schon spät ist und die Abseilösen des „Potenzverlängerers“ sehen bis auf zwei Ausnahmen schön und zuverlässig aus. Dass die Insekten auch ein Sicherheitsrisiko sein können, erfahren wir dann in der Wand. Wie soll man sich aufs Abseilen konzentrieren, während man gleichzeitig bei lebendigem Leibe verspeist wird?

Den besten Tipp erhalten wir in Fjone von dem urigen, netten Fährmann. Gegen die Knotter hilft nichts. Außer Dieseldämpfe. Damit nebelt er seinen Balkon ein und riecht dann wohl genau wie seine bilderbuchidyllische Tuckerfähre.


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