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Okertal2007-Reisebericht

Stand!“ schreie ich hinab in das bewaldete Tal. „Staaaaand!“ Doch nichts passiert. Zu laut rauscht die Oker. Und voll ist sie diesmal. Es halt wohl gut geregnet die Tage. An der Marienwand lernt man den Wert von Seilzugkommandos zu schätzen. Fünf mal ziehen. Dann haben die drei in der Wand endlich verstanden und ich kann sie einen nach dem andern hoch holen.

Wir sind im Harz, genau genommen im Okertal. Das zieht sich von Goslar aus hinauf in eine verwunschene Wundermärchenwelt aus engen Fichtenwald-Tälern. Gleich am Wehr steht die Marienwand und macht mit ihren 55 Metern richtig was her. Gutes Anfängergelände. Und Anfänger sind wir fast alle, jedenfalls was diese sonderbaren großen, rauhen, strukturarmen rundwulstigen Formen aus altehrwürdigem Granit betrifft. Hier kann jeder erst mal „begreifen“, wie man das wohl klettert. Und Lutz macht uns den Gecko (VII-).

Wir sind genau so viele, wie die wilde Dreizehn. Nur einer mehr. Nämlich dreizehn. Das sind ganz schön viele, besonders wenn es darum geht, sich zu einigen. Und so zieht Holger mit seinen netten Segeberger Separatisten an den Eschwegefels, während wir zum Drachturm wandern. Dort schwindelt sich Lutz free solo eine Sechserplatter hoch, während ich mir von Lia schon eine Strafpredigt anhören darf, weil ich eine Dreier-Route als Gehgelände mißverstanden hab. Weiter links steckt eine markante Schuppe im Fels. Jörn ruft mir hoch: „Wie geht denn das?“ Und ich: „Piazen! – Beide Füße links, Hintern rechts!“ Und als er hoch kommt, hat er einen neuen Bewegungsablauf erfahren. Uwe auch.

Uwe liefert sein Meisterstück rechts an der Falterwand ab. Jörns Füße haben einen wortwörtlichen Ein-Fall, wo sie hin gehören. Und ich geh meinen kleinen grauen Friend besuchen. Der steckt seit letztem Herbst immer noch im gleichen Riß. Und mahnt mich seitdem jedesmal, den nachsteigenden Anfängern auch wirklich gut zu erklären, wie man die Dinger wieder raus nimmt, ohne sie immer tiefer zu verklemmen. Mein alter Friend sieht arg mißhandelt aus. Haben sich wohl viele, viele Kletterer dran probiert. Aber er tut das, wofür er konstruiert wurde: Er hält.

Wie kleine gelbe Schwämme saugen wir die warmen Sonnenstrahlen am Fuß der Falterwand auf. Ralf und Günter, Götz, Lutz und Gabi kommen vom Schwiegermutterriß zurück gemeinsam mit dem großen Abendschatten. Und das ist gut so. Denn es wird Zeit, heim zu kommen.

Und wo ist man daheim? Hinter dem rauschenden Bach, hinter den verwunschenen Wäldern, hinter den weiten Wiesen auf der Höhe, der golden im Abendlicht glänzen, hinter den kleinen Bergmannshäusern von Zellerfeld. In der Kreuzbachhütte. Und es ist schön, daß dem Alpenvereinten so viele heimelige Hütten offenstehen. Die Kreuzbachhütte haben wir praktischerweise für uns alleine und reichlich Gelegenheit, in der molligen Gemütlichkeit Geschichten zu erzählen, die die Seele wärmen.

Nachts brechen dann die Siebenschläfer der Hütte in meine Essenskiste ein und verwandeln mir ein Brötchen in kleine braune Kotspuren. Warum hab ich auch den Deckel nicht richtig zu gemacht? Aber sonst ist die Nacht gut. Und niemand hat geschnarcht. Garantiert nicht.

Schneller als gedacht ist die Hütte wieder sauber und wir unterwegs. Von der spiegelglatten Oberfläche der Okertalsperre steigen flockige Nebelfäden auf. Und hoch reckt die Rabenowklippe ihr Gipfelkreuz in den Himmel. Wir wandern zum Turbinenhaus, da wo der Löwe noch schläft und viele klangvolle Routen bewacht. Molybdänverschneidung, Plastikrippe, Hühnerstallkante. Molybdänverschneidung für Lutz, Hühnerstallkante für mich. Und für Maria. Die sich dort mit einer beachtenswerten Kletterleistung langsam nach oben warm schnauft und stöhnt.

Und während Günter und Ralf weiter ihre Seile am Löwen ziehen, zeige ich Maria, Jörn und Uwe am Überhangfels, wie eine Mehrseillänge mit Viererseilschaft lehrbuchmäßig aussieht. Über Glitsch, gemischtes Gelände und durch die Wand mit dem gewissen Schauder-Effekt. Der Ausblick von der Gipfelspitze ist einfach nur genial. Und das Abseilen mit zwei Seilen über die große Nase.

Inzwischen haben Gabi, Götz, Lutz, Lia, Ralf und Uwe den Tofana besetzt und überall Seile und Keile als Hoheitszeichen plaziert. Götz sichert sich meinen uneingeschränkten Respekt mit einem Vorstieg durch den zentralen Riß. Und Gabi hinterher. Ist die inzwischen gut geworden! Bei den letzten Sonnenstrahlen gibt es ein „Berg Heil“ und das gemeinsame Gipfelbier. Alle sind von einem tiefen Lächeln erfüllt. Und das ist gut so.

Bis zum nächsten mal,
Euer Jörg.

P.S.: Danke an Gabi, Uwe und Jörn für ihre Bilder!





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