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Selter2008-Reisebericht
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Klettersport und Risiko - Selter blöd gelaufen.
Klettern ist Risikosport. Sagt man. Stimmt auch und wir wissen das. Da kann man bei auf Risiko gehen. Oder auch nicht, je nachdem. Wie bei Jauch. Und wie bei Jauch weiß man nicht, mit was für einer blöden Frage einen das Leben dann konfrontiert.
Uns vier hat das Leben mit einem wunderschönen tropischen Wochenende konfrontiert. Dreißig Grad und gefühlte achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Grund genug, die Rucksäcke zu packen und ins Weserbergland zu fahren. Zum Wandern.
Ja, ihr habt richtig gehört. Zum Wandern. Weil mich doch beim Klettern das Risiko gebissen hat. Und zwar in die Schulter. Die Geschichte dazu erzähle ich momentan ungefähr dreißig Mal am Tag. Keine Sturzverletzung sondern blöde Bewegung und zu viel Wumms. Verschneidung hinten hoch gestützt, entgegen eingedreht, Fuß weggerutscht, in halben Polizeigriff reingefallen, drei Dübel und gaaanz viel Zeit und dann wieder ganz heil. Dann bekomm ich ein wohlgemeintes Aua und ebenso wohlgemeinte Besserungswünsche. Dreißig mal am Tag und jedesmal freu ich mich.
Also laufen wir los. Stephan, Phillip und Rike mit Kletterrucksäcken, ich mit einem Verband, der sich im Sikh-Turban-Stil um Arm, Hals, Schulter und Bauch wickelt und deutlich langwieriger im Aufbau ist als ein K3-Stand. Laufen los vom Parkplatz am Wasserspeicher auf dem Selter. Einfach, weil wir noch nie da waren. Und unglaublich neugierig sind.
Selter. Sagenumwobene verwunschene Felsen ziehen sich im Wald versteckt dahin. Und mit den unglaublichsten Routenlinien, die für unsereins gottgleiche Kletterlegenden dort hinterlassen haben. Leute, die Schwierigkeitsgrade beherrschen, die mein Vorstellungsvermögen genau so wie mein Übergewicht bei weitem übersteigen. Und das tolle: Man trifft sie dort. Die laufen da einfach so rum. Als Inkarnation des Kletterns selbst. In der Wand. Mit der Bohrmaschine in der Hand. So wie Arne und Horst.
Bei unserer Wanderung entdecken wir zufällig ein Loch im Fels. Natürlich müssen wir alle in die Höhle rein. Ich meine natürlich alle, die keine Arachnophobie haben. Drinnen ist es eng und feucht. Da sind wir uns einig. Eng und feucht, ein guter Anfang für ein gutes Wochenende.
Dann kommt die Keule. Oder wir zu ihr. Ein geniales Stück Fels. Weit genialer als die Bewegungsmuster der drei, die im Kriechband schräg aufwärts unters Dach robben und sich in Selbstbeeumelung wegkichern. Ist das ein tolles Teil. Einfach nur klasse. Phillip schneidet sich noch in den Finger, aber das ist halt Risiko.
Ehrfurchtsvoll wandern wir unter dem Räucherschinken längs. Bewundern die Linienführung in Tausenduneiner Nacht und schütteln verständnislos die Köpfe, weil uns jede Idee fehlt, wie so etwas überhaupt nur theoretisch gehen könnte. Da sieht die Glatte Wand schon besser aus. Stephan klettert ein Bravourstückchen, Phillip bouldert, bis er nicht hoch kommt und Rike probiert es auch.
Klappt aber nicht. Aus der unsäglichen Höhe von dreißig Zentimeter stürzt sie ungesichert in die Tiefe. Schlägt unkontrolliert auf dem Boden auf und kippt nach hinten. Natürlich faßt sie nach hinten um sich abzustützen. Und faßt voll in einen großen steinernen Haufen Risiko. In Summe hören wir das gewisse Plonk-Au Geräusch, das wir so gar nicht mögen. Das Handgelenk schwillt schon fast sekundenweise. Während Rikes Schreie wahrscheinlich bis nach Grönland zu hören sind.
Da ging unsere Sanitäterin zu Boden. Mist. Was willst Du machen? Da gibt es nur eins. Warten, bis es wieder leiser wird, ein Warndreieck aus Stoff drum knoten, das Mädel mit der praktischen Abschleppöse des Kletterns an die Bandschlinge nehmen. Mit „komm, Fifi!“ zu Fuß hoch und mit dem Auto ins Krankenhaus. Anderthalb Stunden später kommt sie scherzend mit hoch erhobenem Gips wieder raus und wir machen ein Invaliden-Gedenkphoto vor dem Rettungswagen. Jörg mit kaputter Schulter und Rike mit kaputter Hand. Dabei habe ich mir diese Art von Solidaritätsbekundung gar nicht so richtig gewünscht.
Und wat machen wir nu? Erst saufen oder Zelt aufbauen? Ab auf den Ith-Campingplatz. Navi sei dank wissen wir auch, wie man da hin kommt. Die Stimmung ist gut und wir flaxen rum. Verdammt, wir haben vergessen, für Rike einen Skyhook mit in die Gipsschiene einzugipsen. Damit sie sich mit Gips vernünftig festhalten kann. So können wir ihr nur den Gips mit einer Bandschlinge hoch binden. Aber bitte ohne Ankerstich um den Hals....
Die schöne neue Straße am Ith-Baggersee längs kann man so schön runter rollen. Findet Stephans Auto. Sogar mit Risiko. Unten steht ein schwarz gekleideter Herr mit einer seltsamen Armhaltung, die laut Rucksack-Deckelfach „Yes“ bedeutet. Und weil Stephan den nicht überfahren will, hält er mal besser an.
Der freundliche Polizist erklärt, daß das da hinten ein Meßwagen ist, und daß er nicht siebzig gefahren ist – mein Idealgewicht übrigens – sondern so schnell, daß ich das in Kilos in diesem Leben sicher nicht mehr schaffen werde. Und das ist gut so. Für mich – nicht für Stephans Führerschein. Obwohl, „wir hätte ja immer noch einen, der fahren kann“. Dankenswerterweise sind die schwarzen Herren wirklich nett und runden den Betrag so weit ab, daß der Lappen weiter mitfährt. Und Stephan hat ein paar neue Rotpunkte in Flensburg.
Dann stellen wir die Zelte auf. Eigentlich kein Problem. Geht sogar mit einer Hand noch leidlich. Phillip hat sogar zwei. Hält ihn aber nicht ab, sich einen Hering durch die Sohle seines Flipflops zu rammen. Doch er hat sich dieses Wochenende wahrscheinlich nicht auf „wollen Sie Risiko“ eingelassen. Der Hering flutscht fast ohne Blutspritzer zwischen den Zehen durch. Da haben wir mal wieder Glück gehabt.
Über die IG-Mitgliederversammlung, die abends steigt soll in einer anderen Geschichte erzählt werden. Laßt mich nur erwähnen, daß ich beeindruckt bin, wie viel politische Arbeit notwendig ist, an einem Fels klettern zu dürfen, der seit unzähligen Jahrtausenden einfach nur so da rumsteht. Und daß das gar nicht selbstverständlich ist. Vor allem nicht im Selter.
Tja, die anderen drei wollten dann essen. Und dann kam mit Krawumm der Regen. Aber betripste Stimmung? – Fehlanzeige. Ab unter den Baum und gröhlen vor Lachen. Was für ein unterhaltsames Wochenende hat uns da das Leben geschenkt. Ich meine, wenn Leslie Nielsen ne Woche lang gegrübelt hätte, wäre es sicher bei weitem weniger idiotisch geworden.
Am nächsten Tag gehen wir wieder Wandern. Diesmal zum Bockshorn. Hübscher verwunschener Ecken, aber ganz anders. Blöcke, Kanten und fast alpine Formen. Hier tut Stephan den historischen Spruch: „Scheiße und alles in die Hose“. Ja, ja, es ist da schon manchmal sandig und rieselig. Aber so was zu sagen ist verdammt riskant. Weil ich nämlich schreiben kann. Genau so wie bei Phillip, der verrät, daß er nicht weitergreift, weil er so alle ist, daß er das unsägliche Gewicht seines Arms nicht mehr aus eigener Kraft heben kann.
War ein scheiß Wochenende, könntet ihr jetzt sagen. Stimmt aber nicht. Es war das lustigste und geilste Wochenende, das ich seit langem erlebt hab. Wir haben lang nicht mehr so gelacht. Und da weiß man dann, wofür Risiko eigentlich gut ist. Risiko macht Freude. Könnt ihr dran denken, wenn ihr das nächste mal free solo geht oder den Jauch „Wollen sie lieber Risiko?“ sagen hört. Dann kennt ihr nämlich unsere Geschichte dazu.
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