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WilderKaiser-Reisebericht

Erster Teil


Wilder Kaiser. Zerklüfteter Hort der Sagen und Legenden. Wo der große Kaiser ruht, bewacht von den drei steinernen Rittern mit ihren wehenden weißen Umhängen. Wo das Jochteufele seinen Spuk treibt. Wo auf dem Totensessel das Gerippe sitzt, überragt von den steinernen Orgelpfeifen des gotischen "Totenkirchl"-Gipfels. Dahinter die "Fleischbank", Tatort eines Bauers, der Felssteige mit glitschiger Rinde belegte und dann die abgestürzten Gemsen einsammelte, bis ihm seine eigene Schafherde gänzlich zum Opfer "fiel" über die viele hundert Meter hohe überhängende Wand hinab in die "Steinerne Rinne". Hätten sie nur dem Wort Gottes gelauscht, das vom "Predigtstuhl" erklingt. Wird doch einst, wenn der einzige Brunnen im Gebirge aufhört zu tropfen, der große Kaiser sich wieder erheben und für ihn in die letzte Schlacht ziehen...

Wir sind hier in Österreich. Und woran merkt man das? Österreiche lieben Gipfelkreuze! Und weils in Österreich so viele Gipfel ja nicht gibt, erklären sie jeden größeren Erdhaufen ab 10 m einfach zum Gipfel und stellen ein Kreuz drauf. Wandern in Österreich, fast wie über den Zentralfriedhof.

Bimm - bimmbimmbimm- bimbimbimbimbim. Ruhe, ich will schlafen!!!! Bimmbimmbimm. Warum sollten die Rindviecher auch woanders grasen, als genau vorm offenen Fenster der urigen Kaindlhütte. Bimmbimmbimm. Ja, ich steh ja schon auf.

Früh aufstehen ist bei den langen Touren auch gut. Nicht weil sie schwierig oder besonders riskant sind. Sondern weil man sie erst mal finden muß. Vor allem die Einstiege.

Ein seltsames Geschöpf. Über einen Stein läuft eine Wurzel und über die Wurzel laufen langsam viele kleine Wellen. Das ist doch gar keine Wurzel, das fließt ja! Sieht ein bischen aus, wie graubrauner Honig. Aber Honig schlägt keine kleinen Wellen. Und eine Schlange verzweigt sich nicht. Seltsam... Erst beim genauen Hinschauen erkennen wir viele, viele, ganzviele kleine Raupen, die alle übereinander kriechen. Eine auf der anderen, mindestens zehn bis zwanzig übereinander. Im gesamten etliche tausend. Irgendwann stößt ein Seitenarm auf ein Hindernis und im Laufe von Minuten fangen hunderte von Raupen an, aufeinander zu wenden und in die andere Richtung zu kriechen. Spannend.

Geröll. Mühsam geht’s aufwärts. Bei jedem Schritt rutscht man zurück. Neugierig schaut mich von oben eine Gemse an. Der Photoapparat macht klick und die Gemse fängt an, im gesteckten Gallopp mit meterhohen Sprüngen übers Geröll zu jagen. Wie macht sie das bloß ohne Bergschuh mit Fersenstabilisierung und Multifunktions-Sohle?

Stipsenjochhaus. Liegt ganzen Aufweg lang zum greifen nahe und um so länger dauert das, bis man oben ankommt. Über der Hütte ein kleiner Hügel, darauf ein Kreuz (was auch sonst?!) und davor tibetanische Gebetsfahnen. Matratzenlager mit hundertweißichnichtwievielen Betten und einer schnarcht immer. Und wenns sonst keiner ist, bin ich es.

Vom Tal her ziehen die Nebelfetzen hoch, tauchen die Felswände in gespenstisches Licht und lassen die Sonne zerfließen wie im Aquarell... Und der Rest steht in Teil 2.

Liebe Grüße,
Jörg.


Zweiter Teil

Hallo!


Und jetzt kommt der spannende Teil.

Vorstieg, eigentlich ganz einfaches Gelände. Zweier bis Dreier-Bereich. Wenns trocken ist. Ist es aber nicht. Sylvia mag nicht vorsteigen und kommt ein paar Schritte wieder zurück. Also mach ich das. Ekelig scharfkantig-bröseliges Zeug, nur stellenweise speckig und rund getreten. Da hält kein Keil und kein Friend (Sicherungsmaterial fürs Klettern). Sylvia findet einen scharfkantigen Felsklotz, über den sie eine Schlinge legt, in die sie sich einhängt. Und das ist gut so.

Sie sichert mich, ich geh weiter. Zwischensicherungen setzen geht nicht, weil das Gestein so kompakt-bröselig ist, daß die Risse eh alle locker sind. Also erst mal hoch. Es kommt eine drei-Meter Steilstufe. Die speckigen Steine sind naß, da halten die Füße nur, wenn man verspreizt. Nach ein bischen Herumfingern ist sogar ein leidlich fester aber scharfkantiger Griff gefunden. Für den nächsten muß ich suchen, strecken, Gewicht verlagern.

Plötzlich hänge ich nur noch an einer Hand. Wie Syverster Stallone in einem seiner anpruchsvolleren Filme (s.u.). Der eine Tritt ist weggebrochen, vom anderen bin ich in Folge abgerutscht. Wegen meiner "offenen Tür" (Fachbegriff für instabile Gleichgewichtsverteilung) schwinge ich an der Hand herum. Ich will die Füße neu setzen, aber ein furchtbarer Schmerz aus der Hand macht mir klar, daß ich mich nicht mehr festhalten kann.

Also lasse ich los. Es geht eh nicht anders.

Und ich falle...

Das erste, was mir durch den Kopf schießt, ist reine Überraschung. Ich falle. Ist ja n Ding!

Während ich über die Kanten und Steine poltere, erfüllt mich ein unerwarteter Friede. Der Kampf ist vorbei. Jetzt kann ich eh nichts mehr tun. Der Körper bewegt sich reflexartig und das Seil wird mich irgendwann auffagen oder auch nicht. Daran kann ich jetzt nichts mehr ändern. Alles ist irgendwie gut.

Und während mein Helm gegen einen Vorsprung nach dem anderen dengelt, bemerke ich interessiert, wie kleine helle Lichtpunkte über das Bild meiner geschlossenen Augen huschen und ob das ein Zeichen sein könnte, daß ich mich vielleicht verletzt haben könnte?

Und mitten aus meinem unerwarteten Alles-ist-gut-Gefühl reißt mich mit einem Ruck das Seil, während ebenso unerwartet ein Schrei ertönt. Der erste übrigens. Aber nicht meiner. Sylvia hat mich nämlich über Körper gesichert und wurde durch den Fangstoß einmal im Stand gedreht, d.h. Kopf nach unten.

Ok. Die Polterpartie ist nach etwa 10 m zu Ende, ich lebe erst mal noch. Gut so. Hatte ich eigentlich auch nicht anders erwartet. Ich stehe auf und registriere, daß die Haut in meiner rechten Handfläche vom scharfkantigen Stein großflächig regelrecht weggeschält wurde und das ganze entspechend ordentlich blutet. Sylvia fragt mich: "Soll ich Dich ablassen?" - "Ja, bitte". Und lansam, viel zu lansam geht es abwärts. Unterwegs sehe ich ein paar meiner Friends und Expressen liegen. Da ist wohl die Materialschlaufe gerissen. Macht nichts.

An einer Rinne am Wandfuß ist das Ablassen zu Ende. Da kann man "relativ" unbedenklich stehen. Ich sage "Stand" und Sylvia: "Setz Dich!" - Ich sage nochmal "Stand" und Syliva "wenn Du Dich nicht setzt, nehm ich Dich nicht raus".

Habt ihr schon mal versucht, mit Schock zu sitzen, während rundherum das Gestein rot beprenkelt wird? Ist jedenfalls unangenehmer, als das Fallen selbst. Also setz ich mich, warte, bis "Seil frei" kommt und steh wieder auf. Ich weiß, daß ich dazu noch hinreichend funktioniere. Nehme den Rucksack ab und bemerke, daß die linke Hand auch weh tut. Fingere mit links ein Verbandpäckchen raus und bekomme es nicht auf.

Ewigkeiten später kommt Sylvia frei abgeklettert und verbindet mir die rechte Hand. Hilft mir aus dem Gurt, schießt das Seil auf, setzt mir den Rucksack wieder auf und wir gehen los. Ich fühle mich unerwartet hilflos, mich im Steilgelände ohne Hände bewegen zu müssen.

An einem kleinen 2-m Absatz ist Schluß. Wie soll ich den denn runter kommen? Ich will auf dem Hosenboden abrutschen, doch Sylvia besteht auf Ablassen. Ich murre, aber die Entscheidung ist definitiv richtig. Also wieder Gurt an und ablassen.

So geht’s dann am Seil im Stil eines Gefangenentransports weiter bis zur Hütte. Sie hat das Seil und ich bin dran festgebunden. Sylvia packt und bezahlt, einer zufälliger Gast von der Bergwacht arrangiert meinen Transport per Materialseilbahn und unten fährt Sylvia mich zum nächsten Arzt.

Der behandelt das inzwischen dick geschwollene linke Handgelenk samt Ellbogen mit Röntgenstrahlen und näht unter erheblicher akkustischer Belastung die rechte Hand wieder zusammen.


Und die Moral von der Geschicht: Das kommt davon, wenn man in zu einfachem Gelände klettert. Wenns steiler und schwieriger gewesen wäre, hätte ich wenigstens in Frieden frei fallen können. So muß ich dann eben das Radler mit Strohalm bestellen.


Liebe Grüße,
Jörg.


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